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Von der Demokratie zum Richterstaat

Sonntag, 29. Juni 2008 2.963 mal angesehen 5 Kommentare

RichterstaatViele haben gejubelt als die SVP bei den Abstimmungen am vergangenen 1. Juni 2008 eine Niederlage erlitten hat, als die drei von ihr unterstützten Vorlagen (Initiativen für demokra-tische Einbürgerungen, Volkssouveränität statt Behördenpropaganda und der Krankenver-sicherungsartikel) abgelehnt worden sind.

Der SVP ist es nicht gelungen das Volk für diese Vorlagen zu gewinnen. Sie hat zwar Werbung gemacht, doch in den Medien wurde kaum im Detail über die Vor- und Nachteile der einzelnen Vorlagen diskutiert. Insbesondere in der Westschweiz hätte die SVP mehr tun können und tun müssen um die dortige Bevölkerung zu informieren. Auch die Medien haben versagt indem sie ihrem Informationsauftrag nicht gerecht geworden sind. SVP-Bashing (insbesondere im Zusammenhang mit Widmer-Schlumpf) schien ihnen wichtiger zu sein als auf die konkreten Inhalte der einzelnen Vorlagen einzugehen.

Bevor ich auf die Problematik, welche durch die Ablehnung der Initiative für demokratische Einbürgerungen entstanden ist eingehe, noch eine Bemerkung dazu ob Kritik an demokratischen Volksentscheiden zulässig ist oder nicht. Sie ist es! Volksentscheide drücken lediglich den Willen des Volkes aus, der selbstver-ständlich zu respektieren ist, doch der Wille ist nicht mit „Recht haben“ gleichzusetzen. Auch der Souverän eines Staates kann sich einmal irren, insbesondere dann, wenn er aufgrund falscher Tatsachen oder auf der Basis von mangelhaften Informationen (Behördenpropaganda, Medienmanipulationen) entschieden hat! Aus demokratischen Gründen ist der Willen des Souveräns dennoch höher zu gewichten als das Recht. Letztlich hat das Volk die Konsequenzen seiner Entscheide nämlich selber zu tragen und somit übernimmt es die volle Verantwortung für seine Entscheide, das ist etwas was Richter nicht in diesem Ausmass tun müssen.

Was gibt es eigentlich in Bezug auf das Abstimmungsresultat vom 1. Juni 2008 zu jubeln?

Nehmen wir die Einbürgerungsinitiative: Man hat im Namen der Rechtstaatlichkeit und unter dem Vorwand Willkür vorzubeugen eine Einbürgerungsinitiative abgelehnt, die beabsichtigte den Stimmbürgern (oder einem von ihnen bestimmten für Einbürgerungsfragen zuständigen Organ) das Recht einzuräumen endgültig darüber abzustimmen wen sie ihn ihre Gemeinde aufnehmen wollen oder nicht.

Einbürgerungsentscheide müssen nun weiterhin gemäss Bundesgerichtsentscheiden von 2003 begründet werden und man kann gegen diese zunächst bei der Einbürgerungskommission (in ZH der Bezirksrat), dann beim Regierungsrat und schliesslich beim Bundesgericht rekurrieren (im Kanton Zürich, in anderen Kantonen ist es ähnlich).

Was ist daran problematisch? Die Zahl der Einbürgerungen von Leuten, die man nicht einbürgern möchte, könnte zunehmen. Die Verweigerung der Einbürgerung alleine aufgrund der Tatsache, dass die Stimmbürger eine bestimmte Person nicht einbürgern wollen wird nicht mehr genügen sofern dieser Person nichts zur Last gelegt werden kann bzw. sie einen einwandfreien Leumund hat. Man kann also eine Gemeinschaft (Gemeinde) zwingen neue Mitglieder aufzunehmen sofern diese keine andere plausible Begründung für einen negativen Einbürgerungsentscheid vorweisen kann als denjenigen, dass die Bürger der Gemeinde jemanden einfach nicht als Mitglied ihrer Gemeinschaft haben wollen.

Es kann nun gegen Entscheide des Souveräns bei untergeordneten Instanzen rekurriert werden. Zum genaueren Verständnis hierfür ein wenig Staatskunde:

Der Souverän ist die höchste Instanz eines Staates. Er ist der Inhaber der Staatsgewalt. In einer Monarchie ist der Souverän ein Kaiser, König oder ein Fürst. In einer Demokratie ist das Volk der Souverän, denn eine Demokratie ist eine Volksherrschaft (Griechisch: démos=Volk und kratia=Herrschaft).

Der Souverän als höchste Instanz eines Staates steht über den Gewalten desselben, er muss sich lediglich an internationale Abkommen und Verträge (z.B. Völkerrecht, bilaterale Verträge), an die er sich selber gebunden hat halten. Die Gewalten eines modernen Staates, der die Gewaltenteilung kennt sind:

Legislative=Gesetzgebende Gewalt (National- und Ständerat)
Exekutive=Ausführende Gewalt (Bundesrat)
Judikative=rechtsprechende Gewalt (Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht)

Dass die Judikative dem Souverän unterstellt ist zeigt sich unter anderem auch daran, dass Gerichte im Namen des Volkes entscheiden.

Nun wird es so sein, dass künftig bei Einbürgerungsfragen gegen den Willen des Souveräns bei der Exekutive und der Judikative rekurriert werden kann. Die Judikative entscheidet dann als letzte Instanz unter Umständen im Namen des Volkes gegen dessen Willen.

Mit der Ablehnung der Einbürgerungsinitiative am 1. Juni hat sich das Volk somit ein Stück weit selber entmündigt. Letztlich werden also Richter über Volksentscheide (bei Einbürgerungsfragen) entscheiden. Damit wird ein weiteres Stück des Weges von der Demokratie zum Richterstaat beschritten.

Diese Entwicklung ist zu bedauern, denn ein Staat bzw. die Staatsdiener sollten dem Volk dienen und sich nicht in dessen Entscheidungsprozesse einmischen bzw. letztlich darüber entscheiden. Eine Entwicklung, welche dazu führt, dass man den Staat aufbläht indem man ihm immer mehr Verantwortung und Kompetenzen überträgt anstatt eigenverantwortlich zu handeln ist schlecht. Letztlich führt dies dazu, dass das Volk immer weniger zu sagen hat. Der Unmut in der Bevölkerung dürfte dadurch zunehmen, da sich die Schere zwischen dem Volk und der Classe politique bzw. den Richtern weiter auftun wird.

5 Kommentare »

  • Thommen schrieb:

    Es ist doch beruhigend, wenn immerhin „Morgarten“ weiss, was „das Volk“ alles will..

    Als Schwuler, kann ich da nur sagen, ich weiss, was das Volk wollte und was es für eine Arbeit war, die Politiker und Richter davon zu überzeugen, dass das Volk immer weniger so wollte, wie diese glaubten. Wir sind heute auch nicht mehr so überzeugt, dass „das Volk“ immer an das Richtige geglaubt hat.

    Es macht keinen Unterschied, ob der „Volkswille“ oder der „Richterstaat“ angehimmelt werden…

  • Alexander Müller (Autor) schrieb:

    „Morgarten“ weiss nicht einfach so aus dem Bauch heraus was das Volk will. „Morgarten“ (also ich) hat einfach die Abstimmungsresultate vom 1.06.2008 zur Kenntnis genommen und daraus geschlussfolgert, dass das Abstimmungsresultat dem Volkswillen entspricht. Ansonsten hätte es ja wohl anderst abgestimmt oder etwa nicht?

    Ich frage mich einfach ob sich die Stimmbürger tatsächlich darüber im Klaren gewesen sind was auf dem Spiel steht als sie ihren törichten Entscheid getroffen haben. Es kann ja wohl nicht sein, dass man gegen Entscheide des Souveräns Rekurs bei untergeordneten Instanzen einreichen kann, die dann darüber befinden dürfen! Juristen sind wichtig, doch ihnen alleine die Macht im Staat zu überlassen ist fahrlässig und könnte uns teuer zu stehen kommen! Genau diese Gefahr besteht!

    Der Unterschied zwischen Demokratie und Richterstaat ist häuptsächlich der, dass in einer Demokratie wie sie in der Schweiz noch! vorhanden ist der Volkswille noch! etwas zählt während in einem Richterstaat zunehmend die Paragraphen eine Rolle spielen und dort das Urteil einiger Weniger massgebend ist.

    Schon klar, dass einige Wenige (z.B. Philosophenkönige) auch intelligenter entscheiden können als viele Dummköpfe, dennoch ist es fraglich ob ein diktatorischer Führungsstil dem heutigen Menschenbild noch entspricht. Meiner Auffassung nach würde das Recht auf Selbstbestimmung und Mitsprache dem heutigen Menschenbild eher gerecht werden und deshalb bin ich für eine möglichst direkte Demokratie.

    Möglichst direkte Demokratie heisst nicht zwangläufig, dass das Volk über alle alle Geschäfte abstimmen muss! Sicherzustellen wäre einfach, dass in allen Dingen (in der Schweiz „obligatorisch“ im Moment nur auf Verfassungsstufe und bei Beitritten zu supranationalen Gemeinschaften usw.) das Volk das letzte Wort hat (und nicht etwa die Volksvertreter!). Man kann sowas bei weniger folgenreichen Geschäften mit fakultativen Referenden lösen. (Die Referenden ersetzen die Initiativen nicht! Sie sind aber als Bremsen gegen ungewollte völkerrechtliche Verträge, Bundesbeschlüsse usw. zu verstehen)

  • Marc schrieb:

    Es kann ja wohl nicht sein, dass man gegen Entscheide des Souveräns Rekurs bei untergeordneten Instanzen einreichen kann
    ________________________

    Na eben dann ist das Thema doch vom Tisch!

  • tin schrieb:

    Ich frage mich einfach ob sich die Stimmbürger tatsächlich darüber im Klaren gewesen sind was auf dem Spiel steht als sie ihren törichten Entscheid getroffen haben.

    Ach so, das Volk entscheidet töricht. Monatelang wird von der SVP gepredigt, das „das Volk“ der Souverän sei und dass Volksentscheide über allem stehen müsse – sogar über dem Völkerrecht.

    Jetzt hat das Volk entschieden – aber nun ist dieser Entscheid auch wieder nicht richtig.

    Irgendwann sollten Sie sich entscheiden, was das Volk nun ist – der Souverän oder der Trottel.

  • Alexander Müller (Autor) schrieb:

    Doch Marc, es kann eben sein und zwar dann, wenn es der Souverän per Volksentscheid so beschliesst. (Wenn er sich also freiwillig selber entmündigt, was ja ansich mehr als stupid ist)

    Tin, offenbar verwechselst du den „VOLKSWILLEN“, welchen es selbstverständlich zu respektieren gilt mit „RECHT haben“ bzw. „RECHTSPRECHUNG“. Im Eingangsartikel habe ich extra auf diesen wesentlichen Unterschied hingewiesen.

    Anbei nocheinmal der Abschnitt im Eingangstext, welchen du vermutlich überlesen hast:

    Bevor ich auf die Problematik, welche durch die Ablehnung der Initiative für demokratische Einbürgerungen entstanden ist eingehe, noch eine Bemerkung dazu ob Kritik an demokratischen Volksentscheiden zulässig ist oder nicht. Sie ist es! Volksentscheide drücken lediglich den Willen des Volkes aus, der selbstverständlich zu respektieren ist, doch der Wille ist nicht mit “Recht haben” gleichzusetzen. Auch der Souverän eines Staates kann sich einmal irren, insbesondere dann, wenn er aufgrund falscher Tatsachen oder auf der Basis von mangelhaften Informationen (Behördenpropaganda, Medienmanipulationen) entschieden hat! Aus demokratischen Gründen ist der Willen des Souveräns dennoch höher zu gewichten als das Recht. Letztlich hat das Volk die Konsequenzen seiner Entscheide nämlich selber zu tragen und somit übernimmt es die volle Verantwortung für seine Entscheide, das ist etwas was Richter nicht in diesem Ausmass tun müssen.