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Vom Handy am Steuer und manipulativen Medien

Mittwoch, 3. September 2008 8.267 mal angesehen 7 Kommentare

Handy am SteuerIm einem Artikel über die Sendung Schweiz Aktuell habe ich bereit auf die gezielten Medien-Manipulationen, insbesondere dann wenn es um den Strassenverkehr geht, aufmerksam gemacht. Jetzt habe ich ein weiteres erwähnenswertes Beispiel.

Am 2.09.2008 veröffentlichte, die Pendlerzeitung 20min ein Artikel mit dem Titel „Handy weg vom Steuer„. Der Artikel berichtet von einer bevorstehenden Kampagne diverser Kantonspolizeikorps, welche die Bevölkerung auf die Gefahr beim Telefonieren hinter dem Steuer aufmerksam machen will. Wie hoch diese Gefahr ist, kann nicht gesagt werden, da die Polizei keine entsprechende Statistik veröffentlich hat und auf persönliche Anfrage keine Auskunft geben kann.

Im Tele Züri wurde in der Sendung „Züri News“ ebenfalls über die Aktion der Polizei gegen Automobilisten, die während der Fahrt hinter dem Steuer telefonieren berichtet. Die Moderatorin Christine Schnyder sagte dabei wortwörtlich:

„Ischs Handy am Stür wirds unghür. Im Kanton Züri passiert scho jeda 4. Verkehrsunfall wäga unufmerksama Autofahrer. Abglenkt sind sie in de meischta fäll wells z Telefon am Ohr händ oder SMS schrybid. Dem wot Polizei jetzt nümä länger zualuaga. Sie goht ab sofort scharf gäga d’Handysünder vor. Via zeigt de Bricht vom Oliver Steffen…“

Auf Deutsch:

„Ist das Mobiltelefon am Steuer wird es ungeheuer. Im Kanton Zürich passiert schon jeder 4. Verkehrsunfall wegen unaufmerksamer Autofahrer. Abgelenkt sind sie in den meisten Fällen weil sie das Telefon am Ohr haben oder SMS schreiben. Dem will die Polizei nicht mehr länger zuschauen. Sie geht ab sofort scharf gegen Mobilitelefonsünder vor. Wie der Bericht von Oliver Steffen zeigt…“

Aufgeschreckt durch diese Berichterstattung schaute ich mir auf der Webseite der Kantonspolizei Zürich die aktuelle Verkehrsunfallstatistik für das Jahr 2007 an. Auf Seite 37 (Stadtgebiet Zürich) und Seite 127 (Kantonsgebiet Zürich) sind die 10 Hauptursachen für das Unfallgeschehen aufgeführt.

Dabei fällt auf, dass die „momentane Unaufmerksamkeit“ zu den häufigsten Hauptunfallursachen gehört. Im Stadtgebiet ist es die zweithäufigste Hauptunfallursache und im Kantonsgebiet sogar die häufigste. Das Wort Hauptunfallursache lässt darauf schliessen, dass es auch noch andere Unfallursachen gibt, die dann in der Kombination zu einem Unfallhergang führen.

Nun ist es so, dass man aus verschiedenen Gründen unaufmerksam sein kann. Hier einige mögliche Ursachen für Unaufmerksamkeit:

Streit mit Mitfahrern
Kinder im Auto, die den Fahrer ablenken
Tiere im Auto, die den Fahrer ablenken (Haustiere, fliegende Insekten)
Autoradio
Navigationssystem
Mobiltelefon
Zigaretten, die man sich gerade während dem Fahren anzündet
Zeitung lesen während dem Fahren
Essen während dem Fahren
Trinken während dem Fahren
Finger- oder Fussnägel lackieren während dem Fahren (hat es alles schon gegeben!)
Drogenkonsum
Sonneneinstrahlung
Müdigkeit (Sekundenschlaf)
Sex
usw.

Wie hoch der Anteil des Mobiltelefons bei den Gründen für die Unaufmerksamkeit ist, ist aus der Verkehrsunfallstatistik nicht ersichtlich. Woher die Medien also die Gewissheit nehmen, dass gerade das Telefonieren am Steuer für den Grossteil der Verkehrsunfälle verantwortlich ist und sich daher zu Aussagen wie „Ischs Handy am Stür wirds unghür“ hinreissen lassen ist mir schleierhaft.

Rein subjektiv kann ich diese Aussage von der Tele Züri Moderatorin Christine Schnyder nachvollziehen. Habe ich nämlich bereits selber erlebt, wie mir ein Automobilist, der hinter dem Steuer seines Lieferwagens am Telefonieren war den Vortritt genommen hat ohne auf mich zu achten. Ein Unfall wurde damals durch eine Vollbremse meinerseits verhindert. Dieses Einzelereignis, welches Teil meines persönlichen und subjektiven Erfahrungsschatzes ist, lässt jedoch aus rein wissenschaftlicher Sicht noch keinen Rückschluss auf die Gefährlichkeit des Telefonieren hinter dem Steuer zu. Dafür gibt es noch zuviele unbekannte Grössen, die man untersuchen müsste. Der Fahrer, der mir in meinem Fall den Vortritt genommen hat, könnte z.B. neben der Tatsache dass er hinter dem Steuer telefoniert hat auch noch betrunken oder aber ermüdet gewesen sein oder es könnte ihn aber auch einfach nur die Sonne geblendet haben.

Statt auf diesen Punkt einzugehen, hat man im Beitrag von Tele Züri einen Pressesprecher der Stadtpolizei Zürich gezeigt, der bei einem Test mit einem Fahrsimulator während der virtuellen Fahrt einen Telefonanruf entgegennahm und dabei einen Unfall baute. Dann wurde betont, dass der Beamte trotz besonderem Fahrtraining offensichtlich nicht in der Lage war, wegen der Ablenkung mit dem Telefonanruf den Unfall zu verhindern.

Ich finde eine derartige Berichterstattung unseriös und suggestiv. Der eben geschilderte Test lässt keine wissenschaftlich brauchbaren Rückschlüsse zu. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass das Fahren mit solchen Simulatoren schwieriger ist als das Fahren eines „echten“ Autos und zwar schon alleine aus dem Grund, weil man beim Simulator kein Fahrgefühl hat. Wenn ich während dem Fahren aus irgendeinem Grund abgelenkt werde, dann verlangsame ich instinktiv meine Fahrtgeschwindigkeit. Und zwar schon alleine schon deshalb, weil ich nicht lebensmüde bin. Es wäre also zu prüfen ob solche Simulatorentrainings 1:1 mit der Situation in der Realität verglichen werden können oder nicht.

Auch der Hinweis, dass der Presse-Polizist ein besonderes Fahrtraining absolviert hat ist suggestiv und überzeugt mich nicht. Alleine die Teilnehme an einem Fahrtest lässt noch keine Rückschlüsse auf das fahrerische Können des Beamten zu. Hat er den Test bestanden? Wenn ja, was wurde konkret getestet? (Die Medien berichten regelmässig über Unfälle, in welche Streifenwagen verwickelt sind)

Zumindest ich habe hier Informationen vermisst und daher finde ich, dass man sich vor voreiligen Rückschlüssen hüten sollte. Ich appeliere deshalb an die Medien: Informiert umfassender und weniger suggestiv. Harte und stichhaltige Fakten (ZAHLEN und NACHVOLLZIEHBARE QUELLENANGABEN!!!!) sind wilden Spekulationen und unbewiesenen dubiosen Behauptungen in jedem Fall vorzuziehen.

7 Kommentare »

  • Rony schrieb:

    Leider ist fast die gesamte Berichterstattung in den heutigen Medien reisserisch und vielfach suggestiv. Einerseits, weil wahrscheinlich das Geld für richtige Recherchen fehlt, andererseits weil viele Leser/Zuhörer/Zuschauer harte und stichhaltige Fakten schlichtweg langweilig finden.

    Wenn ich in den Massenmedien einen Bericht lese/schaue zu einem Thema, bei dem ich mich gut auskenne, so ist der Bericht im besten Fall einfach nur oberflächlich, in vielen Fällen aber schlichtwegs einfach Falsch (Ausnahmen bestätigen die Regel).

  • Alexander Müller (Autor) schrieb:

    Dass die Medien gleich nachdem sie von den Pressestelle der Polizei auf die neue Kampagne der Polizei aufmerksam gemacht wurden über diese berichteten, ist ja noch verständlich. Doch dass die Medien ohne diese Kampagne zu hinterfragen, deren Botschaft gleich selber verbreiten ist der beste Beweis dafür, dass wir es zunehmend mit einem Kampagnen-Journalismus zu tun haben.

    Der Kampagnen-Journalismus lässt sich von verschiedensten Interessensgruppen für deren manipulativen Zwecke instrumentalisieren. Mich erinnert das an die Hetzblätter totalitärer Diktaturen und Ideologien. (Spontan kommen mir da der Nationalsozialismus und der Kommunismus in den Sinn)

    Der investigative Rechereche-Journalismus bleibt dabei auf der Strecke. Mich wundert es, dass sich die Journalisten nicht gefragt haben weshalb die Polizei nun gerade wegen dem Telefonieren hinter dem Steuer eine Kampagne macht, wo doch die häufigste Hauptunfallursache im Kanton Zürich „momentane Unaufmerksamkeit“ ist.

    Mich jedenfalls veranlasste dies der Pressestelle der Kapo-ZH anzurufen und nachzufragen. Dort konnte man mir keine Zahlen liefern, die klipp und klar festhalten wieviele Unfälle auf Telefonieren hinter dem Steuer zurückgehen. Man spricht dort genauso wie übrigens in der Verkehrsunfallstatistik nur von der „momentanen Unaufmerksamkeit“ welche eben verschiedene Ursachen haben kann.

    Ebenfalls finde ich es übrigens ein starkes Stück, dass man mit Steuergeldern teure Kampagnen finanziert um den Automobilisten etwas was die Politiker bereits verboten haben aus dem Kopf zu treiben wo man ja noch nicht einmal genaue Fakten kennt bzw. sich auf detailierte Statistiken stützen kann.

    Die Polizei hat ein Unfall-Aufnahme-Protokoll. Dort können die Beamten standartisierte Merkmale ankreuzen, die auf ein Unfallereignis, dessen Begleiterscheinungen (Witterung, Tageszeit usw.) bzw. einen Unfallort zutreffen. Ob sich das Merkmal „Handy am Steuer“ auf diesem Unfall-Aufnahme-Protokoll befindet konnte mir der Beamte jedoch nicht sagen. Er meinte eher nicht, da sowas im Zweifelsfall unter Umständen nur schwer nachzuweisen ist…tja…möglich dass man über den Handynetzbetreiber rausfinden kann ob jemand zum Zeitpunkt des Unfallereignisses telefoniert hat (wenn man diesen auf die Sekunde genau kennt) aber was, wenn der Beifahrer telefoniert hat???

    Und mit sowas machen Leute wie Leuenberger dann Verkehrspolitik. Jetzt weiss ich wenigstens weshalb man diese Nulltoleranz-Verkehrspolitik nennt. Eigentlich müsste man noch hinzufügen, dass sich diese Politik nicht auf seriöse Fakten stützt. Es handelt sich um reinen Populismus, das heisst im Klartext es handelt sich um Volksverdummung in Reinkultur.

  • Micahel Jäger schrieb:

    Auch wenn mir da die empirischen Belege fehlen, meine ich behaupten zu dürfen, dass das Handy sicher eine häfigere Unfallursache ist als Sex am Steuer, wie du vorschlägst.

  • Alexander Müller (Autor) schrieb:

    Das ist durchaus möglich Michael. Doch dies rechtfertigt noch lange keine sündhaft teuren Kampagnen, die dann vom Steuerzahler und den abgezockten Automobilisten bezahlt werden müssen.

    Es ist einfach nicht richtig aus ideologischen Gründen eine Kampagne zu fahren. Solange die wissenschaftlichen Grundlagen bzw. das Grundlagenwissen fehlt, muss man von unseriösen und ideologischen Kampagnen sprechen.

    Vermutlich stecken hinter diesen Kampagnen Stündeler von der EVP wie der Obermoralist Ruedi Aeschbacher, notorische Automobilistenhasser wie Roland Wiederkehr und Nulltoleranz-Fanatiker wie Moritz Leuenberger. Jedenfalls würde mich das nicht wundern.

  • Lukas schrieb:

    Für alle die es immer noch nicht glauben wollen, dass telefonieren am Steuer gefährlich ist, hier bitte nachlesen: http://www.tagesanzeiger.ch/digital/mobil/Wenn-das-Handy-zum-Ohrenwrmer-wird/story/20746712. Man darf natürlich jede wissenschaftliche Studie auch in Frage stellen, ich bin aber überzeugt, dass hier weder Medien- noch Wissenschaftsmanipulation betrieben wird.

  • Alexander Müller (Autor) schrieb:

    Hallo Lukas, mit solchen Studien verteidigen Politiker wie Leuenberger ihre aberwitzige Nulltoleranzpolitik. Seriöser als Studien wären aber knallharte wissenschaftliche Fakten wie z.B. Statistiken, die sich über mehrere Jahre erstrecken.

    Problem bei der von dir zitierten Studie:
    1. Sie sind nicht repräsentativ. Es nahmen 40 Teilnehmer teil, konkret 25 Männer und 15 Frauen im Alter zwischen 22 und 34 Jahren. Man weiss nicht ob es sich dabei um gute Fahrer, besonders schlechte Fahrer oder Durchschnittsfahrer handelt.

    2. Die Studie wurde in den USA und nicht in der Schweiz gemacht. Amerikaner haben eine anderer Fahrausbildung als Schweizer. Bei uns ist die Fahrschule und der Verkehrsunterricht wesentlich besser. Dort fährt man einmal um einen Häuserblock und hat dann den Führerschein. Zudem kann man ihn soweit ich informiert bin in den Staaten bereits ab 16 Jahren erwerben.

    3. Es ist unklar ob ein Fahrsimulator mit einem Auto vergleichbar ist. Ich habe früher im Spielsalon Autorennspiele gespielt. Ich empfand dies wesentlich anspruchsvoller als das richtige Fahren eines Autos. Der Speed war wesentlich höher als in der Realität. Ausserdem fehlte das Fahrgefühl. Es gab z.B. keine Zugkräfte, die auf einen wirkten wenn man mit hoher Geschwindigkeit in eine enge Kurve fuhr usw.

    Ich bin überzeugt, dass man mit solchen Studien alles schlecht machen kann was man will. Zun Beispiel könnte man eine Studie über das Rauchen von Zigaretten am Steuer, Kaugummi kauen am Steuer, Navigationssystem bedienen am Steuer, Radio einstellen am Steuer, Gangschalten während dem Fahren, Reden während man hinter dem Steuer sitzt (ist auch Multi-Tasking) usw. durchführen. Die Resultate wären vermutlich mit demjenigen der von dir zitierten Studie identisch.

    Nochmals: Das Problem ist die Unaufmerksamkeit und diese kann nicht NUR durch das Telefonieren entstehen. Es isst immer noch unklar wieviele Unfälle auf das Konto von Leuten gehen, die während dem Fahren hinter dem Steuer telefoniert haben. Genausowenig ist übrigens klar ob Leute, die 0,8 Promille im Blut haben mehr Unfälle verursachen als Leute mit 0,0 Promille im Blut. Auch da gibt es nämlich keine Statistiken. Auch da haben sich die Politiker lediglich auf Studien berufen. Studien sind jedoch keine Fakten. Es handelt sich dabei lediglich um Beobachtungen, die man in den genannten Fällen bei einem oder mehreren Experimenten gemacht hat. Es ist unseriös solche Studien als Anlass für ein neues Gesetz zu nehmen. Dennoch wird dies LEIDER immer wieder gemacht.

  • Oliver schrieb:

    Was soll man denn da noch sagen?

    Wer derart wehement gegen Sicherheitskampagnen und deren Verbreitung propagiert tut dies doch schlussendlich nur aus folgender Motivation: Man fühlt sich zutiefst ertappt!

    Man prangert an, dass es keine Studien gebe – und wenn doch welche genannt werden, speist man sie als unseriös ab…

    Wer ist den gegen eine Kampagne gegen Telefonfahrer? Telefonfahrer!

    Ihr outet euch selber und solltet ihr noch so eloquent argumentieren.

    Es gibt keine genauen Zahlen von der Polizei. Die würde es geben, hätten Handysünder Charakter und würden zu ihren Taten stehen und nicht lügen, dass sich die Balken biegen…